BFH: Keine Erbschaftsteuerpause
Die Regelungen des ErbStG i.d.F. des WBG 2009 betreffend den Erwerb von Privatvermögen und den Steuersatz sind über den 30.06.2016 hinaus weiter anwendbar.
ErbStG § 19
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 Satz 1
FGO § 74
BFH-Urteil vom 6.5.2021, II R 1/19 (veröffentlicht am 11.11.2021)
Vorinstanz: FG Köln vom 8.11.2018, 7 K 3022/17 (EFG 2019 S. 455 = SIS 19 01 41)
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin nach ihrer am 28.08.2016 verstorbenen Tante. Der erbschaftsteuerpflichtige Erwerb bestand aus Privatvermögen (im Wesentlichen Bankguthaben sowie eine ausgezahlte Lebensversicherung). Mit Bescheid vom 01.06.2017 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unter Anwendung eines Steuersatzes von 15 % für die Steuerklasse II nach § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) i.d.F. des Art. 6 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22.12.2009 --WBG 2009-- (BGBl I 2009, 3950) Erbschaftsteuer fest.
Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, dass am Stichtag, dem 28.08.2016, kein mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Einklang stehendes Erbschaftsteuergesetz mehr existiert habe, sodass der Erwerb nicht der Erbschaftsteuer unterliege. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe mit seinem Urteil vom 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 (BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50) dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung bis zum 30.06.2016 eingeräumt, die nicht verlängert worden sei. Das FA wies den Einspruch am 16.10.2017 als unbegründet zurück.
Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass mit dem rückwirkend zum 01.07.2016 in Kraft getretenen ErbStG i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016 (BGBl I 2016, 2464 --ErbStAnpG 2016--) --ErbStG 2016-- eine umfassende Rechtsgrundlage für die Besteuerung von Erbfällen und Schenkungen ab dem 01.07.2016 geschaffen worden sei. Die Rückwirkung sei verfassungsrechtlich zulässig. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 455 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen die Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG geltend.
§ 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016 sei nichtig, da er i.V.m. Art. 3 ErbStAnpG 2016 eine unzulässige Rückwirkung beinhalte. Es liege kein Fall einer ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung vor, da die Klägerin aufgrund des verzögerten Gesetzgebungsverfahrens auf einen Wegfall der Erbschaftsbesteuerung vertraut habe. Wegen einer Verklammerung der den Erwerb von Betriebsvermögen betreffenden Regelungen mit der Tarifnorm des § 19 ErbStG habe auch für solche Erbfälle, die nur Privatvermögen betrafen, nicht mehr mit einer Novellierung gerechnet werden müssen. Ab dem 01.07.2016 sei die Übergangsregelung beendet gewesen. Dies gelte auch für § 19 ErbStG, da die Erbschaftsteuererhebung ab dem 01.07.2016 insgesamt blockiert gewesen sei.
Die Regelungen des ErbStG 2016 seien auch aus anderen Gründen verfassungswidrig. Erwerber von Privatvermögen seien in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientierten Besteuerung verletzt. Die Bestimmungen zum Ausschluss des Verwaltungsvermögens aus dem Verschonungsprivileg verstießen zudem gegen das Gebot der Normenklarheit.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung, den Erbschaftsteuerbescheid vom 01.06.2017 und die Einspruchsentscheidung vom 16.10.2017 aufzuheben,
hilfsweise das Verfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Neuregelung auszusetzen,
und die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gemäß § 139 Abs. 3 FGO für notwendig zu erklären.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA trägt vor, die Fortgeltungsanordnung durch das BVerfG sei ausdrücklich nicht befristet worden. Die Rückwirkung des ErbStAnpG 2016 sei zulässig, da angesichts der Entscheidung und der späteren Äußerungen des BVerfG, des Verlaufs des Gesetzgebungsverfahrens und des begleitenden Verwaltungshandelns kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend habe entstehen können, dass es einen erbschaftsteuerfreien Zeitraum nach dem 30.06.2016 geben werde. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG 2016 sei zu berücksichtigen, dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen großen Spielraum eingeräumt habe, der auch eine enorme Bevorzugung von Unternehmenserben beinhalte.
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren am 07.05.2020 nach § 122 Abs. 2 FGO beigetreten. Es unterstützt in der Sache das Vorbringen des FA.
II.
Die Revision ist unbegründet und war nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Festsetzung der Erbschaftsteuer wegen des Erwerbs von Todes wegen gegen die Klägerin rechtmäßig und verfassungskonform ist. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO ist nicht geboten.
1. Zur Beseitigung seiner Verfassungswidrigkeit wurde das bisherige Erbschaftsteuerrecht im November 2016 rückwirkend zum 01.07.2016 neu geregelt.
a) Das BVerfG hatte mit Urteil in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50 entschieden, dass § 13a ErbStG und § 13b ErbStG i.d.F. des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008 (BGBl I 2008, 3018 --ErbStG 2008--) jeweils i.V.m. § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. der Bekanntmachung vom 27.02.1997 (BGBl I 1997, 378 --ErbStG 1997--), auch in den seither geltenden Fassungen, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind (vgl. Ziffer 1 des Tenors des Urteils in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50).
Es tenorierte außerdem "Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30.06.2016 zu treffen." (vgl. Ziffer 2 des Tenors des Urteils in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50).
b) Nach § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016 (eingefügt durch Art. 1 Nr. 10 ErbStAnpG 2016) finden die §§ 10, 13a bis 13d, 19a, 28 und 28a ErbStG 2016 auf Erwerbe Anwendung, für die die Steuer nach dem 30.06.2016 entsteht. Das ErbStAnpG 2016 wurde am 04.11.2016 beschlossen und am 09.11.2016 verkündet. Gemäß Art. 3 ErbStAnpG 2016 trat es mit Wirkung vom 01.07.2016 in Kraft.
2. Stellt das BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer Norm fest, führt dies nicht zwangsläufig zur Nichtanwendbarkeit der Norm. Maßgeblich ist der Tenor der Entscheidung des BVerfG.
a) Stellt das BVerfG die Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt daraus in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers, rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten. Wird nicht zugleich eine Fortgeltungsanordnung getroffen, dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen (BVerfG-Urteil vom 10.04.2018 - 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 147, Rz 165, m.w.N.).
b) Aus besonderem Grund, namentlich im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung, hat das BVerfG allerdings wiederholt die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist eingeräumt, um binnen angemessener Zeit verfassungsgemäße Regelungen zu erlassen (Fortgeltungsanordnung, vgl. BVerfG-Beschluss vom 23.06.2015 - 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11, BVerfGE 139, 285, BStBl II 2015, 871, Rz 89; BVerfG-Urteil in BVerfGE 148, 147, Rz 170, m.w.N.). Bei einer derartigen im Tenor der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ausdrücklich getroffenen Anordnung steht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der weiteren Anwendung der betreffenden Rechtsnorm --im vom Verfassungsgericht angeordneten Umfang-- als solche außer Frage (vgl. BVerfG-Beschluss vom 30.03.1998 - 1 BvR 1831/97, BStBl II 1998, 422; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.10.2000 - II B 157/99, BFH/NV 2001, 498).
Teilweise ordnet das BVerfG die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen bis zu der dem Gesetzgeber für eine Neuregelung gesetzten Frist an (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, und vom 22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655; BVerfG-Urteile vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, BVerfGE 125, 175, und in BVerfGE 148, 147, Rz 171 f.). Die Fortgeltungsanordnung ist jedoch nicht zwingend an die dem Gesetzgeber zur Neuregelung eingeräumte Frist gekoppelt. Sie kann auch --unabhängig von einer Verpflichtung des Gesetzgebers-- bis zu einem bestimmten Datum gelten (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 04.02.2009 - 1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1, BStBl II 2009, 1035, und in BVerfGE 139, 285, BStBl II 2015, 871, jeweils Ziffer 2 des Tenors).
c) Für den Fall, dass der Gesetzgeber die gesetzte Frist zur Neuregelung verstreichen lässt, stehen dem BVerfG hinsichtlich der Fortgeltungsanordnung verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.
Im Fall der verfassungswidrigen Bemessung der Regelleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch führte das BVerfG z.B. aus, dass bei einer Fristüberschreitung durch den Gesetzgeber dieser verpflichtet wäre, ein später erlassenes Gesetz mit Rückwirkung zu erlassen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 125, 175, Rz 218). Dagegen traf es in den Beschlüssen vom 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91 (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) und vom 13.02.2008 - 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125) selbst eine Regelung, sollte der Gesetzgeber die Frist verstreichen lassen.
Hinsichtlich der Vermögensteuer hat das BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 unter Tenorierung einer befristeten Fortgeltungsanordnung bereits in den Gründen eine Neuregelung lediglich als eine der Handlungsoptionen betrachtet und nur für diesen Fall vorgesehen, dass der Gesetzgeber Übergangsregelungen treffen darf, die eine teilweise Fortgeltung der bisherigen Vorschriften anordnen (unter C.III.3.). Aufgrund der Untätigkeit des Gesetzgebers trat mit Fristablauf jedoch eine Anwendungssperre der Vermögensteuer bezüglich der nach dem 31.12.1996 verwirklichten Tatbestände ein.
d) Entscheidet das BVerfG hingegen, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar und der Gesetzgeber bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einer Neuregelung verpflichtet ist (vgl. BVerfG-Beschluss vom 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192), sind die verfassungswidrigen Regelungen entsprechend der Tenorierung unabhängig vom Fristlauf für den Gesetzgeber bis zu der tatsächlichen Neuregelung anwendbar (so auch Guerra/Mühlhaus, Erbschaftsteuerberater --ErbStB-- 2016, 146; Eichberger in 54. Berliner Steuergespräche vom 09.02.2015; vgl. Richter/ Welling, Finanz-Rundschau 2015, 497, 499 f.; Koblenzer/Günther, Der Betrieb --DB-- 2016, 2016, 2018 f.; BeckOK ErbStG/Erkis, 11. Ed. 01.04.2021, ErbStG § 37 Rz 63; anderer Ansicht u.a. Crezelius, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2016, 367; Drüen, Deutsches Steuerrecht 2016, 643; Seer, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 2016, 673; Wachter, GmbHR 2017, 1).
3. Die Regelungen des ErbStG waren im Hinblick auf den Erwerb von Privatvermögen sowie den zugrunde zu legenden Steuersatz über den 30.06.2016 hinaus anwendbar, ohne durch eine spätere rückwirkende Regelung ersetzt zu werden.
a) Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung, ob das BVerfG nur die Regelungen über den Erwerb von Betriebsvermögen nach § 13a ErbStG, § 13b ErbStG 2008 i.V.m. der Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG 1997 für verfassungswidrig erklären wollte und § 19 Abs. 1 ErbStG 1997 für den Übergang von Privatvermögen schon deshalb auch über den 30.06.2016 hinaus weiter anwendbar ist oder ob das BVerfG aufgrund der Tatsache, dass § 19 Abs. 1 ErbStG 1997 als Klammervorschrift auch auf den Erwerb von Privatvermögen Anwendung findet, ebenso die übrigen --auf den Erwerb von Privatvermögen anwendbaren-- Bestimmungen des ErbStG für verfassungswidrig erklärt hat.
b) Die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG ergibt sich jedenfalls daraus, dass das BVerfG in Ziffer 2 Satz 1 des Tenors seines Urteils in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50 angeordnet hat, das bisherige Recht bleibe bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Diese Regelung stellt eine unbefristete Fortgeltungsanordnung dar (siehe oben unter II.2.d). Ziffer 2 Satz 1 des Tenors ist insoweit eindeutig. Die Frist in Satz 2 bezieht sich lediglich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Neuregelung zu schaffen und ändert an der Wirksamkeit der Fortgeltungsanordnung auch dann nichts, falls die Neuregelung pflichtwidrig nicht oder verspätet geschaffen wird.
aa) Für diese Auslegung der Ziffer 2 des Tenors des BVerfG-Urteils in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50 spricht die oben dargestellte differenzierte Tenorierungspraxis des BVerfG, nach der das BVerfG in den Fällen, in denen eine Anwendungssperre bei Untätigkeit des Gesetzgebers in der gesetzten Frist eintreten soll, unmissverständlich eine Fortgeltung nur befristet anordnet (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 139, 285, BStBl II 2015, 871) und dies teilweise auch ausdrücklich rechtfertigt (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 148, 147, Rz 176). Das BVerfG-Urteil in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50 enthält hingegen keine Befristung.
bb) Diese Auslegung des Tenors steht zudem im Einklang mit den Entscheidungsgründen des BVerfG-Urteils in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50. Die Fortgeltungsanordnung wird damit gerechtfertigt, dass sonst eine regellose Übergangszeit bis zur Neugestaltung der Bestimmungen bestehe, in der Erb- und Schenkungsfälle steuerrechtlich nicht abgewickelt werden könnten (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50, Rz 289).
cc) Dem steht nicht entgegen, dass das Verstreichen der für das Tätigwerden des Gesetzgebers angeordneten Frist ohne Sanktionen bliebe. Denn wie das BVerfG in seiner Pressemitteilung Nr. 41/2016 vom 14.07.2016 (http://hbfm.link/859) unter Verweis auf ein Schreiben des Vorsitzenden des Ersten Senats des BVerfG vom 12.07.2016 an die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat mitteilte, hatte das BVerfG bestehende Handlungsmöglichkeiten --z.B. eine Vollstreckungsanordnung nach § 35 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG)-- erwogen, um seiner Entscheidung Geltung zu verschaffen.
c) § 19 ErbStG ist damit, soweit die Vorschrift der Besteuerung der Klägerin zugrunde gelegt wird, nicht Gegenstand einer Rückwirkung durch das ErbStAnpG 2016, sondern Gegenstand der Fortgeltungsanordnung. Der Gesetzgeber hat mit dem ErbStAnpG 2016 lediglich die den Übergang von Betriebsvermögen betreffenden Regelungen des ErbStG (§§ 10, 13a bis 13d, 19a, 28 und 28a ErbStG 2016) neu geregelt und insoweit in § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016 Rückwirkung angeordnet. Die im Streitfall angewendeten §§ 1, 2, 3, 9 ff., 13, 16, 19 ErbStG wurden durch das ErbStAnpG 2016 inhaltlich nicht geändert. Sie waren deshalb auch nicht Gegenstand einer rückwirkenden Neuregelung, sondern blieben unverändert erhalten.
4. Der Senat ist --wie das FG-- nicht von der Verfassungswidrigkeit der angewandten Normen des materiellen Rechts überzeugt. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO i.V.m. einer Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 BVerfGG kommt daher nicht in Betracht. Insbesondere ist die im Streitfall vorgenommene Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens nicht deshalb verfassungswidrig, weil in demselben Zeitraum eine erbschaftsteuerrechtliche Überbegünstigung des Betriebsvermögens zu verzeichnen wäre.
a) Die vom BVerfG festgestellten Verfassungsverstöße betrafen § 13a ErbStG und § 13b ErbStG 2008 in den in Rz 278 ff. des Urteils (in BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50) aufgeführten Teilbereichen. Es waren steuerliche Gestaltungen eröffnet worden, die zu nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen führen konnten. Diese erfassten
- die Bestimmungen über die Verschonung des unentgeltlichen Erwerbs begünstigten Vermögens, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen,
- die Freistellung von der Pflicht zur Einhaltung der Lohnsummenregelung nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG als Voraussetzung der Verschonung, soweit sie für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten galt,
- die Regelung über das Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG 2008, soweit sie bei Vorliegen der übrigen Förderbedingungen begünstigtes Vermögen (vgl. § 13b Abs. 1 ErbStG 2008) selbst dann insgesamt in den Genuss des Verschonungsabschlags gelangen lässt, wenn es bis zu 50 % aus vom Gesetz als grundsätzlich nicht förderungswürdig angesehenem Verwaltungsvermögen besteht, sowie
- die Möglichkeit exzessiver Ausnutzung der Befreiung von der Lohnsummenpflicht durch die Aufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft,
- die einfach gestaltbare Umgehung der 50 %-Regel des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG 2008 für Verwaltungsvermögen durch Nutzung von Konzernstrukturen und die Begünstigung von Geldvermögen durch die Schaffung von "Cash-Gesellschaften".
b) Der Gesetzgeber hat mit dem ErbStAnpG 2016 Nachbesserungen vorgenommen. Ungeachtet einer nach wie vor sehr großzügigen Begünstigung des Betriebsvermögens ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Regelungen gegen Art. 3 GG verstoßen. Das gilt auch deshalb, weil das BVerfG die Begünstigung des Betriebsvermögens für kleinere und mittlere Unternehmen bis hin zur Vollverschonung für zulässig erachtet hat.
c) Das ErbStG verstößt nach Ansicht des Senats auch nicht insgesamt gegen das rechtsstaatliche Gebot der Bestimmtheit und Klarheit (vgl. kritisch z.B. Thomemann-Micker, DB 2016, 2312; Söffing, ErbStB 2016, 339; Seer/ Michalowski, GmbHR 2017, 609; Seer, Steuer und Wirtschaft 2021, 111). Dabei kann dahinstehen, ob dies möglicherweise für einzelne Normen der Verschonung des Betriebsvermögens zutrifft. Diese erfassen grundsätzlich nicht die Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von nicht begünstigtem (Privat-)Vermögen.
5. Das FG hat vor diesem Hintergrund jedenfalls im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen. Die Erbschaftsbesteuerung war unter Anwendung des über den 30.06.2016 hinaus fortgeltenden ErbStG einschließlich der Tarifvorschrift des § 19 ErbStG vorzunehmen. Weitere Parameter der Besteuerung stehen zwischen den Beteiligten nicht im Streit.
6. Der Senat hält es für angebracht, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a Abs. 1, § 121 Satz 1 FGO).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Der Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist im Revisionsverfahren unzulässig, da die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren gehört. Zuständig ist insoweit das FG als das Gericht des ersten Rechtszugs (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.05.2018 - IX R 8/17, BFH/NV 2019, 386, Rz 16).
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